Nachhaltig und Wertstiftend - Citylogistik der Zukunft gemeinsam entwickeln
Von Alexander Handschuh, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
Die Bedeutung von Logistik für die Lebens- und Standortqualität in den Städten und Gemeinden wird immer noch unterschätzt und in der breiten Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen. Sie teilt das Schicksal vieler anderer Akteure, deren Existenz und Funktionieren als selbstverständlich „mitgenommen“ wird, ohne genauer darüber nachzudenken. Wirkliche Aufmerksamkeit wird der Logistik in all ihren Facetten meist erst dann zuteil, wenn mal etwas nicht funktioniert, also der Müll nicht entsorgt wird, das Paket nicht zugestellt werden kann oder die Fertigung eines Autos länger dauert als erwartet. Dann wird deutlich, welch komplexe Zusammenhänge sich „im Verborgenen“ vollziehen, die für das Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger von großer Bedeutung sind.
Eine besondere Rolle nimmt in diesem Zusammenhang die City-Logistik ein, also die Belieferung von Bevölkerung und Geschäften mit Waren und Gütern. Vor allem durch die Corona-Pandemie und den steigenden Online-Handel, aber auch durch den starken Wettbewerb um immer schnellere Zustellung von Bestellungen, ist die Bedeutung dieses Zweiges in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Während die Bevölkerung von den Annehmlichkeiten profitiert und diese auch aktiv nachfragt, werden auch hier vor allem die beeinträchtigenden Effekte wahrgenommen. Dazu zählen das Parken in der zweiten Reihe und eine Zunahme der Zustellfahrzeuge.
Fest steht, dass eine funktionierende Logistik auch auf der sogenannten „letzten Meile“ von zentraler Bedeutung für die Versorgung der Kommunen und der Bevölkerung, für die Wirtschaft und auch für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger ist. Doch die weiter steigende Bedeutung der Logistik im innerstädtischen Raum stellt nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Kommunen vor Herausforderungen. Wie kann auf diese neuen Aufgabenstellungen reagiert werden? Die Antworten auf diese Frage sind komplex und erfordern Dialog- und Kooperationsbereitschaft vieler verschiedener Akteure.
In den Städten wird es eng: Konkurrenz um Verkehrsflächen und Nutzungsmöglichkeiten
Städte und Gemeinden in Deutschland sind vielfach immer noch auf Autoverkehr ausgerichtet. Die Anforderungen mit Blick auf den Klimaschutz und Nachhaltigkeit erfordern einen Umbau der Verkehrssysteme. Ziele sind eine Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, die Umwidmung von Verkehrsräumen für Fahrräder und Fußgänger sowie mehr Grünflächen in den Städten, um das Mikroklima und die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Dies alles führt zu einer Konkurrenz um den ohnehin knappen Verkehrsraum. Zustellkonzepte und Lieferverkehre müssen sich dieser Situation stellen und den Anforderungen an moderne urbane Mobilität gerecht werden. Emissionsarmut, kurze Wege und nachhaltige Nutzungskonzepte lauten die Schlagworte, denen sich die Branche stellen muss. Vielfach werden diese Ideen bereits aktiv umsetzt. Neue und emissionsarme Konzepte wie etwa Micro-Hubs zur Zustellung mit Lastenrädern, klimafreundliche Antriebstechnologien bei größeren Zustellfahrzeugen und die konsequente Implementierung von Nachhaltigkeitskonzepten im Immobiliensektor zeigen, dass die Logistik sich an die neuen Anforderungen anpasst.
Gleichzeitig werden zusätzliche Zustellpunkte im innerstädtischen Bereich benötigt. Auch hier besteht eine Konkurrenzsituation um das knappe Gut „Fläche“. Wohnungsbau, Gewerbeansiedlung, Flächen für Naherholung und Freizeit sowie zusätzliche Grünflächen, um das Stadtklima zu verbessern und Hitzeinseln zu vermeiden, lauten die Anforderungen, denen Kommunen bei der Flächenausweisung gerecht werden müssen. Nicht immer kann daher die Entscheidung für ein neues Logistikdepot oder ein Micro-Hub ausfallen. Zudem stellen steigende Mieten und Grundstückspreise für die Unternehmen – nicht nur der Logistikbranche – eine zusätzliche Herausforderung dar. Klar ist daher, dass neue Konzepte notwendig sind, die nur gemeinsam mit den Unternehmen, den Kommunen und den Bürgerinnen und Bürgern entwickelt werden können. Dieser Prozess von Beteiligung und „Co-Creation“ kann zum Interessenausgleich beitragen, Akzeptanz fördern und neue Ideen entstehen lassen.
Miteinander statt Gegeneinander – Kooperation und Dialog als Gebot der Stunde
Die gemeinsame Entwicklung neuer Ideen kann von „kleinen“ Lösungen im Quartier bis hin zu innovativen Zukunftsmodellen mit digitaler Unterstützung im Rahmen von Smart-City-Konzepten reichen. Entscheidend ist es, das bisherige Nebeneinander oder sogar Gegeneinander der verschiedenen Stakeholder durch ein Miteinander zu ersetzen und ein gemeinsames Zielbild zu definieren: Nachhaltige und klimagerechte Logistikkonzepte unter Beibehaltung oder Steigerung der Leistungsfähigkeit der Akteure. Notwendig ist also eine engere Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Bürgerschaft und Kommunen ebenso wie die bessere Kooperation der Unternehmen untereinander. Wie kann das gelingen? Einen Masterplan oder eine Blaupause gibt es nicht, denn Stadtumbau und Stadtentwicklung ist eben nicht Neu-Konzeption oder gar Neubau auf dem Reißbrett.
Je nach lokalen Gegebenheiten kann kurzfristig die Umnutzung, Zwischennutzung oder Teilnutzung von bestehenden Gebäuden, Parkhäusern oder sonstigen Flächen ein Weg sein. So könnte beispielsweise das Parkhaus einer Behörde außerhalb der Öffnungszeiten als Logistikhub dienen, wenn die örtlichen Gegebenheiten (Zufahrtswege, Durchfahrtshöhe, etc.) dies zulassen. So kann dann zentrumsnahe Zustellung, etwa mit Lastenrädern, ermöglicht werden.
Mittelfristig sollte die Entwicklung gemeinsam genutzter Immobilien und Flächen stärker in den Blick genommen werden. Warum sollten Micro-Hubs nicht in Kombination mit Sportmöglichkeiten oder Kultureinrichtungen möglich sein? So können Flächen optimal genutzt werden, zusätzliche Angebote ermöglicht und Akzeptanz gesteigert werden. Durch Ideenwettbewerbe und Bürgerwerkstätten kann so ein wichtiges Signal aktiver Stadt- und Quartiersentwicklung unter enger Einbeziehung der Logistik gesetzt werden.
Langfristig sind Lösungen denkbar, die derzeit teilweise noch nicht erprobt, nicht flächendeckend verfügbar oder sogar noch gar nicht entwickelt sind. Diese können von unterirdischen Transportnetzwerken über digital vernetzte Verkehrssteuerung autonomer Fahrzeuge bis hin zu vollkommen neuen Ansätzen urbanen Zusammenlebens reichen. Alle diese Ansätze erfordern allerdings neues Denken, ein Verlassen der ausgetretenen Pfade und eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Citylogistik der Zukunft muss im Dialog entwickelt werden – nachhaltig, wertstiftend und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessenlagen.